Berliner SPD will Betriebe verstaatlichen

Veröffentlicht am 22. Juli 2025 um 12:57

Nach einigen Jahren relativer Ruhe sorgen Reizworte wie Verstaatlichung, Vergesellschaftung und Enteignung in Berlins Politik wieder für Aufregung. Grund ist ein neuer Anlauf der Berliner SPD. Jetzt eskaliert der Ton.

Am Montag schrieb der frühere Berliner CDU-Bundestagsabgeordnete Mario Czaja auf der Kurznachrichtenplattform X: „Die Berliner SPD wird zunehmend ein Fall für den Verfassungsschutz. Ihr Gesetz bedeutet am Ende auch Enteignungen von Mittelstand und Genossenschaften und zerstört damit einen Grundpfeiler unseres Landes.“

Berliner SPD will auch Firmen vergesellschaften könnenHintergrund sind Pläne von SPD-Fraktionschef Raed Saleh für das vom Senat geplante Vergesellschaftungsrahmengesetz auf Grundlage des Grundgesetzartikels 15, aus denen Medien zitieren. Demnach seien „Vergesellschaftungen von Grund und Boden, Naturschätzen und Produktionsmitteln sowie deren Überführung in Gemeineigentum“ das Ziel. Dabei soll es sich eben nicht nur um große Immobilienunternehmen – wie im erfolgreichen Volksbegehren von 2021 gefordert – handeln, sondern auch um Firmen.

Zuletzt hatte Saleh betont, die Vergesellschaftung ermögliche den Bundesländern eine soziale Marktregulierung auch ohne Enteignung. Berlin könne etwa die Gewinnmaximierung oder marktorientiertes Verhalten beschränken. „So könnte das Land allen Vermietern für fünf Jahre einen Preisdeckel vorschreiben“, sagte Saleh. Nach seiner Überzeugung könnten auf diesem Weg auch die Mieten in Berlin gedeckelt werden.

Einen Mietendeckel wird es mit der CDU nicht geben.

Berlins CDU-Fraktionschef Dirk Stettner

CDU-Fraktionschef Dirk Stettner hat dagegen betont, es gehe darum, „wie das Land eingreifen kann, wenn Fehlentwicklungen des Marktes den Bürgerinteressen schaden“. Ansonsten blieb er skeptisch: „Das neue Gesetz soll einen gesetzlichen Rahmen schaffen, es ist nicht für einen Mietendeckel gedacht“, sagte er. „Den wird es mit der CDU nicht geben.“

Der geeinte Gesetzentwurf soll spätestens Mitte Dezember ins Abgeordnetenhaus eingebracht werden. Es soll frühestens zwei Jahre nach seiner Verkündung in Kraft treten.

Die Berliner SPD will neuen Anlauf für den Mietendeckel nehmenEnde Juni hatten sich die Fraktionsvorstände von CDU und SPD in einem Eckpunktepapier vor allem darauf geeignet, dass Enteignungen und Vergesellschaftung weitgehend verhindert werden sollen, indem es Indikatoren wie Gesetzesverstöße, Renditeentzug und Klimazielverfehlung als zusätzliche Voraussetzungen für eine Vergesellschaftung einführt.

Wenige Wochen später legte die SPD einen neuen Anlauf für einen Mietendeckel vor. Beim ersten Versuch war der damalige rot-rot-grüne Senat vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert. Mietenpolitik sei Bundessache, das Land Berlin habe da keine Gesetzgebungskompetenz.

„Verfassungsfossil“: Artikel 15 des Grundgesetzes ist noch nie angewendet wordenJetzt soll mit dem Verweis auf den Vergesellschaftungsartikel 15 ein Anlauf gestartet werden, der absehbar wieder in Karlsruhe landen wird. Man beträte mal wieder juristisches Neuland.

Die Tatsache, dass er mangels politischer Mehrheiten noch nie angewendet wurde, verdankt Artikel 15 den Beinamen „Verfassungsfossil“. Schon mehrmals versuchten deshalb etwa die Liberalen, den Artikel ganz zu streichen. Bereits 2019 sagte der FDP-Rechtspolitiker und spätere Justizminister Marco Buschmann in einem Interview mit dem Fachblatt LTO, warum der 15er verschwinden solle. Der Grundgesetzartikel sei allenfalls „Anlass für populitische und nutzlose Debatten“.

Mietenpolitik: Will die Berliner SPD die Linken kopieren?Populistisch? Vielleicht. Aber nutzlos? Die Linkspartei hat mit dem Wohnungsthema – und einer Pro-Palästina-Haltung inklusive antiisraelischer und antisemitischer Töne – bei der Bundestagswahl Berlin gewonnen. Mit dieser Mischung holte etwa der türkischstämmige Politiker Ferat Kocak den vorher für die Linke nicht gewinnbaren Bezirk Neukölln im Westteil der Stadt.

Die Berliner CDU mutmaßt nun, dass sich die Berliner SPD mit ihrem möglichen Spitzenkandidaten für die Abgeordnetenhauswahl im nächsten Jahr, Raed Saleh, dies zum Vorbild nehmen will. Womöglich weil man eine Koalition mit den Linken nach der Berlin-Wahl anstrebe.

CDU-Generalsekretärin Ottilie Klein schrieb auf X: „Biedert sich die SPD gerade als Mehrheitsbeschafferin für einen Regierenden Bürgermeister der Linkspartei an? Wenn es eins in Berlin nicht braucht, dann sind es Enteignungen und Klassenkampf. Die SPD Berlin ist hier völlig auf Abwegen.“

Hin- und hergerissen ist dagegen Andreas Geisel (SPD) – ein Politiker mit viel Expertise bei dem Thema. Als Stadtentwicklungssenator war Geisel für Wohnungsbau zuständig – und dabei nur mäßig erfolgreich, wie er im Gespräch mit der Berliner Zeitung selber eingesteht. Bis heute fehlen Berlin zwischen 100.000 und 150.000 Wohnungen. Bauen ist auch wegen immer neuer Umweltauflagen immer teurer geworden, gleichzeitig wird so gut wie jedes Neubauvorhaben von Bürgerinitiativen vor Ort bekämpft. Immer wieder übrigens auch von kommunalen Politikern der CDU, wie Geisel betont.

Berliner Ex-Senator Geisel warnt vor Anbiederung an LinksparteiAls Innensenator musste Geisel das erfolgreiche Enteignungs-Volksbegehren darauf prüfen lassen, ob eine Umsetzung verfassungskonform sein könnte. Die hochkarätig besetzte Expertenkommission kam zu keinem eindeutigen Schluss.

Für den inzwischen in die hinteren Reihen der eigenen Fraktion geschobenen gebürtigen Ost-Berliner Geisel kommt noch eine Art biografische Expertise als ehemaliger DDR-Bürger hinzu. Als ostdeutscher Sozialdemokrat habe er gelernt, dass die westdeutsche SPD nach dem Krieg erfolgreich geworden sei, als sie sich im Godesberger Programm von 1959 von der Verstaatlichung gelöst habe. Sollte sich seine Partei nun davon verabschieden, sei das für ihn „eine Anbiederung an die Linkspartei“. „Ich sehe nicht, dass wir mit Verstaatlichung das Problem lösen“, sagt Geisel.

https://www.berliner-zeitung.de/.../streit-um...

Kommentar hinzufügen

Kommentare

Es gibt noch keine Kommentare.