
Am 16. April landete um 21:37 Uhr eine Chartermaschine auf dem Flughafen Leipzig/Halle. An Bord waren 183 Afghanen, die im Auftrag der längst abgewählten, aber noch amtierenden rot-grünen Bundesregierung nach Deutschland gebracht wurden. Fünf davon waren sogenannte Ortskräfte, die während des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan für Deutschland gearbeitet hatten, dazu deren Familienangehörige. Der überwiegende restliche Teil der Passagiere kam über Aufnahmeprogramme, die nichts mit der Evakuierung von Ortskräften zu tun haben, sondern den Afghanen Schutz bieten sollen, die aus anderen Gründen von den Taliban verfolgt werden.
Dieser Flug, den die scheidende Außenministerin Annalena Baerbock sowie Innenministerin Nancy Faeser zu verantworten hatten, stieß in der deutschen Öffentlichkeit auf Empörung. Denn die Bundestagswahlsieger CDU und CSU hatten angekündigt, das Aufnahmeprogramm für Afghanistan zu beenden. Baerbock und Faeser wollten in den letzten Tagen ihrer Regierungszeit noch Fakten schaffen.
Auf der Passagierliste dieses umstrittenen Regierungsflugs (Flugnummer QS4380) stand ursprünglich auch eine afghanische Familie, über deren Aufnahme in Deutschland nun die neue Regierung entscheiden muss. Denn Passprüfer der Bundespolizei hatten die Familie wenige Tage vor Abflug von der Liste streichen lassen – wegen Zweifeln an den von der Mutter vorgelegten Dokumenten und damit an deren Identität.
Diese Zweifel sind bis heute nicht ausgeräumt. Dennoch könnte es sein, dass die Frau mit ihren 13 Familienangehörigen bald ganz offiziell nach Deutschland kommen darf. Denn die 14 Afghanen haben erfolgreich gegen die Bundesrepublik geklagt. Im schriftlichen Eilverfahren verpflichtet das Verwaltungsgericht Berlin die Bundesregierung dazu, den Antragstellern Visa zu erteilen, also ihnen die Einreise nach Deutschland zu gestatten.
Es lohnt sich, diesen Fall im Detail zu betrachten. Denn er offenbart die ganze Absurdität des von Baerbock und Faeser gestarteten und von der neuen Regierung nur vorläufig gestoppten Aufnahmeprogramms für Afghanistan. Ein Programm, das dermaßen intransparent und missbrauchsanfällig ist, dass selbst die SPD in den Koalitionsverhandlungen mit der Union zugestimmt hat, es „so weit wie möglich“ zu beenden.
Genau um dieses „so weit wie möglich“ geht es jetzt. Klar ist, dass die schwarz-rote Bundesregierung keine neuen Aufnahmeversprechen an angeblich von den Taliban bedrohte Afghanen geben wird. Uneinig sind sich Union und SPD aber darüber, was mit den rund 2.400 Afghanen geschieht, denen die alte Bundesregierung bereits eine förmliche Aufnahmezusage gegeben hat und die nun, meist in Pakistans Hauptstadt Islamabad, auf ihre Ausreise nach Deutschland warten.
Die nun vor dem Verwaltungsgericht Berlin erfolgreich klagende 14-köpfige Familie zählt zu dieser Personengruppe. Und der Beschluss des Gerichts, der Apollo News in anonymisierter Form vorliegt, offenbart die grundsätzlichen Probleme des von Baerbock und Faeser neu eingeführten Aufnahmeverfahrens.
Die Antragstellerin sei in Afghanistan als Juradozentin und stellvertretende Leiterin der Wahlkommission tätig gewesen und zudem Schriftstellerin, so das Gericht. Eine Aufnahmezusage des dem Bundesinnenministerium unterstellten Bundesamts für Migration und Flüchtlinge erhielt sie im Oktober 2023. Daraufhin beantragten sie und ihre 13 Familienangehörigen Visa an der deutschen Botschaft in Islamabad.
Sicherheitsbedenken oder Zweifel an der Identität gab es zunächst nicht. „Nach Rückmeldung der zu beteiligenden Sicherheitsbehörden im Rahmen eines Sicherheitsinterviews liegen keine Erkenntnisse vor. Eine Ausreise ist somit möglich“, notierte man in der deutschen Botschaft im Oktober 2024 und bereitete alles für die offizielle Einreise nach Deutschland vor. Doch Monate später und wenige Tage, bevor der Charterflug von Islamabad nach Leipzig startete, meldete der in der Botschaft hinzugezogene Passprüfer der Bundespolizei Bedenken an.
Anlass dafür war ein weiteres Sicherheitsinterview, das die Leiterin der Visumstelle in Islamabad, eine Beamtin des Auswärtigen Amts und der „Dokumenten- und Visumberater“ der Bundespolizei mit der afghanischen Juristin und Schriftstellerin am 11. April 2025 führten. Solche Sicherheitsinterviews waren nachträglich eingeführt worden, nachdem Presseberichte interne Warnungen vor massiven Sicherheitslücken in dem Aufnahmeverfahren öffentlich gemacht hatten.
„Der Dokumenten- und Visumberater äußerte nach dem Interview Zweifel an der Identität der Antragstellerin (…), die die Leiterin der Visastelle nicht teilte“, stellte das Verwaltungsgericht nach Aktenlage fest. Grund für die Zweifel war, dass die Afghanin Personaldokumente vorlegte, in denen ihr Geburtsdatum uneinheitlich war. Die angegebenen Daten lagen etwa vier Jahre auseinander.
Die Verwaltungsrichter in Berlin kamen zu dem Ergebnis, dass dies kein Problem sei, und entschieden, ohne die Frau je zu Gesicht bekommen zu haben: Es bestehe der „erforderliche hohe Grad an Wahrscheinlichkeit dafür, dass ihre Identität geklärt ist.“ Dass die deutsche Botschaft in Islamabad hinsichtlich des Geburtsdatums der Antragstellerin Anlass zu weiteren Nachforschungen sehe, „steht der Annahme einer geklärten Identität im vorliegenden Eilrechtsschutzverfahren nicht entgegen.“ Zumal die Bundesregierung ihr ja bereits einen Reiseausweis für Ausländer ausgestellt habe.
Das Absurde an diesem Fall ist: Die Bundespolizei schickt ihre „Dokumenten- und Visumberater“ in den Auslandseinsatz, damit sie – quasi als vorgelagerte Grenzkontrolle in den Hauptherkunftsländern der Migranten – schon vor der Ausreise mögliche Problemfälle identifizieren. Sie sind darauf spezialisiert, Widersprüche und Fälschungsmerkmale in den vorgelegten Dokumenten zu erkennen. Doch wenn sie solche Widersprüche aufdecken, setzt sich wahlweise das Auswärtige Amt (das oft dennoch Visa ausstellt) oder, wie in diesem Fall, ein deutsches Verwaltungsgericht einfach darüber hinweg.
Beim Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan hat dies System. Denn das Verfahren ist so konzipiert, dass die Sicherheitsexperten erst viel zu spät hinzugezogen werden. Eine Vorauswahl der Afghanen, die nach Deutschland geholt werden sollen, treffen private Organisationen wie „Kabul Luftbrücke“. Die Aufnahmezusagen erteilt dann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom Schreibtisch aus, ohne die Antragsteller gesehen und gesprochen zu haben. Erst danach, im sich an die Aufnahmezusage anschließenden Visumverfahren, überprüfen deutsche Beamte die Personen im persönlichen Gespräch.
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